Der Piranha in der Anemone
Aktualisiert: 13. Dez. 2021
Vor etwas mehr als einem Jahr wurde die Übernahme des Nebelspalter durch Markus Somm und seine Klarsicht AG bekannt. Für mich Anlass zu einer eher trüben Zwischenbilanz.

Damals, am 3. Dezember 2020 stand ich in meinem 15. Jahr als Chefredaktor des Titels. Auch mir war immer bewusst, die glanzvollsten Jahre der Marke lagen schon weiter in der Vergangenheit. In einer anderen Gesellschaft. In einer anderen Medienlandschaft.
Dennoch war es gelungen, den ältesten erscheinenden Satiretitel der Welt zu revitalisieren. Mehr noch: gegen sämtliche Print-Trends die Abozahlen um über 50% zu steigern.
Auch im Netz und den sozialen Medien hatten wir es geschafft, ohne Budget, dafür mit dem richtigen Timing und den richtigen Postings an die Reichweiten grosser Medienmarken heranzukommen. Eine kleine Erfolgsgeschichte, welche die anderen Medien nie interessiert hat.
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Was sie dann aber umso mehr interessierte, waren die Übernahmegerüchte um Markus Somm. Der Name wirkt auf Menschen wie Trüffel. Die einen lieben ihn. Die anderen können bereits Spuren von ihm nicht ausstehen und suchen möglichst rasch das Weite.
Der bisherige Verleger Thomas Engeli gehörte zu den einen. Die Aussicht auf unerschöpfliche Finanzmittel, einflussreiche Kontakte und das Versprechen, im Nebelspalter Satire und Recherche nach dem Vorbild des Canard enchaîné zu vereinen, hatten ihm den Mund wässrig gemacht.
Mein Mundgefühl blieb eher schal. Als die Übernahme durch die Klarsicht AG bekannt wurde, publizierte ich dennoch Stunden später online den Aufruf an Abonnenten und Mitarbeitende, sich erst einmal vorurteilsfrei anzuschauen, was nun kommen möge. Zeilen voller Zweckoptimismus.
Viele Satiriker:innen haben diesen Zweckoptimismus nicht geteilt und verliessen das Magazin, einige von ihnen sind heute die Köpfe hinter der Plattform Petarde, die gerade ein erfolgreiches Crowdfunding hinter sich hat.
Für mich war vorgesehen, dass ich die Leitung der Printausgabe behalten sollte. Bald dämmerte mir: Dies geschah nicht aus Wertschätzung gegenüber meiner bisherigen Arbeit, sondern weil die neue Crew ihre ganze Energie in den Aufbau der neuen Online-Plattform stecken wollte. Ohne Print am Bein.
Mein Zweckoptimismus schwand mit jedem Namen, der neu verpflichtet wurde, mit jedem meiner Inputs, den man freundlich weglächelte, mit jedem Resultat der Leserbefragung, der ignoriert wurde. Und auch, weil man in der neuen Zentrale von Comics sprach, wenn man Karikatur meinte.
Ich realisierte: Hier würde ich nur noch mithelfen, eine vergangene Ära zu Grabe zu tragen. Darum verliess ich den Titel auf eigenen Wunsch Ende März. Ohne viel Tamtam. Den Gastrojournalisten wäre es eh wieder nur um den Trüffel gegangen, nicht um restliche Rezeptur.
Das ist bis heute vielleicht das Lustigste am neuen Nebelspalter: Während sich die Medien noch die Finger über die drohende rechte Satire wund schrieben – das @RepublikMagazin bot dazu 66 Min. Lesezeit – zeichnete sich eine unerwartete Pointe ab. In Wahrheit drohte: keine Satire.
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So ist es seit dem Relaunch im März bis heute geblieben: Satire hat in der Hauptnavi des Nebelspalter nicht mal einen eigenen Menüpunkt. Wer Satire will, muss ganz nach unten scrollen. Letzte Station vor dem Footer. Das hat man sich bestimmt nicht vom Canard enchaîné abgeschaut.
Die Cartoons, die man auf dem neuen Portal findet, sind kaum mehr als Markenfolklore und ornamentales Beiwerk zu den täglichen, satirefreien Meinungstücken. Immerhin schneidet das User Interface inzwischen, acht Monate nach Launch, nicht mehr ständig deren Bildteile und Signaturen ab.
Ich will nicht unterschlagen, dass die Printausgabe im Gegensatz zum Portal noch immer weitgehend als Satiremagazin erscheint: eine Kuriosität der Markenführung. Wie eine Zoohandlung, die im Ladengeschäft viele bunte Zierfische anbietet. Und online ausschliesslich Piranhas.
Übrigens: Mit dem Futter, das die Piranhas in einem Monat verschlingen, sind die Zierfische im alten Ladengeschäft mehr als ein Jahr durchgekommen. Während das Ladengeschäft plusminus selbsttragend war, zehrt der Online-Handel vor allem von grosszügigen Piranha-Patenschaften.
Ich frage mich, ob all die Investoren, die Beträge mit 5 Nullen frei gemacht haben, in der neuen Plattform tatsächlich die versprochene Fortführung einer grossen Markentradition von «Nötzli» bis «Böckli» erkennen. Mir gelingt das nicht, trotz 300-Seiten-Liz zum «Nebi».
Schade natürlich, kann man all die Investoren nicht einfach selbst danach fragen. Weil deren Namen mehrheitlich gar nicht bekannt sind. Schade eigentlich auch, dass das niemanden zu stören scheint.
Um es klarzustellen: Ich habe nichts gegen Piranhas. Ihre zentrale Funktion im Ökosystem ist absolut unbestritten. Ein intaktes Flussbett braucht Piranhas links und rechts des «Mainstreams». Aber ein Piranha, der sich eine eigene Clownfisch-Anemone kauft, echt?
Zum nichtsatirischen Inhalt der Plattform nur so viel: Wo bleiben die aufwändigen Recherchen, wo die versprochene offene Debattenkultur? Hier wird zu fast 100 Prozent die eigene, eher überschaubare Bubble versorgt, die sich um die Autoren gebildet hat. Meist hinter einer Paywall.
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Die eigentliche Frage, die mich bis heute nicht loslässt, lautet: Warum? Warum den Nebelspalter? Somm ist unbestritten clever, schnell, eloquent und meinungsstark. Er weiss, dass er polarisiert. Und er weiss das auch zu schätzen und zu nutzen. Schlagzeilen sparen Marketingkosten.
Kein Zweifel: Eine neue Online-Plattform von Markus Somm wäre auch ohne Brand-Kidnapping mit grosser Medienaufmerksamkeit gestartet. Somm ist auf seiner Plattform geradezu omnipräsent, mit einer Vielzahl von Formaten. Eines heisst treffenderweise sogar «The Somm Show».
Demgegenüber ist kaum zu erkennen, wie viel Nutzen die frühere Nebelspalter-Klientel dem neuen Projekt bringt. Derzeit wird sie im Printmagazin auffällig behutsam an die Online-Ausrichtung herangeführt. Ist die Strategie mit dem Frosch im Topf vielleicht doch kein Mythos?
Sicher ist: Auf Dauer ergeben zwei im Print und im Netz derart unterschiedlich geführte Markenidentitäten schlicht null Sinn. Darüber, welcher «Nebelspalter» sich durchsetzen wird, gibt es leider kaum Zweifel: Printabonnenten werden derzeit mit Rabatten zum Abschluss eines Online-Abos gelockt. Kein Witz: Beide Bereiche haben bis heute getrennte Abo-Angebote. Rabatte in die andere Richtung – für Online-Nutzer im Printbereich – findet man keine. Infos und Links zur gedruckten Ausgabe werden auf der Website geradezu versteckt gehalten.
So spricht alles dafür, dass es Somm nie um das wahre Erbe des Nebelspalter – der trotz verschiedener liberaler Verleger seit 1875 zu keiner Zeit mit der neuen Plattform vergleichbar war – gegangen ist, sondern einzig um die Hülle einer geschichtsträchtigen Medienmarke.
Warum ich bei alledem immer noch hoffe, dass die neuen Besitzer dem satirischen Wesenskern des Nebelspalter doch noch den Platz einräumen, den er verdient hätte, weiss ich selbst nicht.
Vielleicht, weil ich mich nie sagen hören möchte: Er wäre besser tot als untot, mein alter Freund.
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