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Wer braucht schon Satire?

Aktualisiert: 2. Mai 2021

«Ich hoffe, dass die bevorstehende Frischzellenkur die Marke ‹Nebelspalter› stärkt – und nicht entkernt.» Den Satz schrieb ich vor Monaten als Noch-Chefredaktor im «Interview mit mir selbst» an jenem Tag, als der Verkauf des Titels bekannt wurde. Und heute: Wie viel ist ausser der Hülle noch übrig?


Irgendwie eine passende Symbolik: Die 404-Fehlerseite, die ich noch vor meinem Ausscheiden für den neuen digitalen Nebelspalter kreierte.

Wenn ich mir sechs Wochen nach dem Relaunch den digitalen Auftritt des ‹Nebelspalter› ansehe, kann ich vom früheren Markenkern nichts mehr erkennen. Den neuen Besitzern ist beim vollmundigen Versprechen, für «die nächsten hundert Jahre» die Zukunft des ältesten Satiremagazins der Welt zu sichern, ausgerechnet die Satire abhandengekommen, jedenfalls weitestgehend.


Karikaturen und Cartoons, seit der Gründung das eigentliche Gesicht des Titels, sucht man seit Wochen vergebens auf der neuen Webseite. Zeichnerinnen und Zeichner, die ich vor Monaten für tagesaktuelle Online-Beiträge vorschlug, haben von der digitalen Redaktion nie etwas gehört. Heute ist der Satire-Anteil weit unter den angekündigten 20 Prozent, obschon bereits dieser tiefe Wert nicht eben dafür sprach, dass viel Herzblut für das historische Erbe des Magazins vorhanden ist. Mit den vorab in verschiedenen Interviews (z. B. hier, hier oder hier) erwähnten internationalen Vorbildern wie «Canard enchaîné» und «Private Eye» hat das neue Portal keine erkennbare Gemeinsamkeit.


Fakt ist zwar, dass die gedruckte Magazinausgabe bis heute praktisch unverändert und ohne Einflussnahme der neuen Besitzer erschienen ist. Die zahlreichen Zeichnenden und Schreibenden, die nicht mehr im Magazin zu finden sind, haben sich auf eigenen Wunsch zurückgezogen. Fakt ist aber auch, dass nun Online und Print viel schneller zusammengeführt werden sollen als ursprünglich vorgesehen. Dabei lässt der unsensible, beinahe schon respektlose Umgang mit der Markenidentität beim digitalen Relaunch für die Printausgabe wenig Gutes erahnen – falls nicht doch noch ein Umdenken stattfindet.


Was aber tun, wenn dem dienstältesten Satiremagazin Stück für Stück die Satire ausgetrieben wird? Eine mögliche Antwort auf diese Frage liefern meine zeichnenden KollegInnen Regina Vetter, Tom«Tomz» Künzli und «oger». Zu dritt lancierten sie im März zum Start des neuen, digitalen ‹Nebelspalter› den Hashtag «#WerbrauchtschonSatire?» samt einer Webseite, auf der in kürzester Zeit viele Beiträge und ebenso viele Besucher zusammenkamen – dazu der zigfach geäusserte Wunsch nach einer neuen, unabhängigen Satire-Plattform.


Genau dieser Aufgabe wollen sich Regina, Tom und Oger nun stellen. Aus dem Wunsch nach einer neuen, unabhängigen Satireplattform soll Wirklichkeit werden. Damit das gelingen kann, benötigen die drei jetzt vor allem eines: möglichst breiten Support! Alle Details über ihr spannendes Projekt und wie du die Sache unterstützen kannst, erfährst du direkt auf ihrer Seite.


Ich habe mich in den ersten Monaten nach der Übernahme des ‹Nebelspalter› – noch an Bord des Blattes – darin geirrt, so etwas wie Einfluss auf den digitalen Relaunch der Marke zu haben. Ich hätte auch nichts dagegen, wenn ich mich bei meiner inzwischen recht düsteren Prognose, was der Printausgabe erst noch bevorsteht, ebenfalls irren sollte. In so einem Fall hätte Deutschschweiz zusammen mit #WerbrauchtschonSatire am Ende ein grösseres Satire-Angebot als vorher. Da man sich auf meine Fehlprognosen allerdings nicht zu sehr verlassen sollte, gibt es für alle, die nicht wie vorgesehen schon einen Abschnitt früher weitergeklickt haben, nochmals diesen netten blauen Link für den Mauszeiger oder Daumen:


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